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Kleine Idee, große Wirkung
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Kleine Idee, große Wirkung

Ein Gespräch mit Martin Aufmuth, Gründer der EinDollarBrille

Über 950 Millionen Menschen weltweit haben keine Chance auf eine Brille – obwohl sie die dringend bräuchten. Diese Zahl hat Martin Aufmuth nicht mehr losgelassen. Als er die weltweite Notlage erkannte, gründete er 2012 den Verein EinDollarBrille. Heute erzählt er von seinen Reisen nach Burkina Faso und Malawi, von bewegenden Begegnungen und davon, wie wichtig es ist, an eine Idee zu glauben.

Mann mit grauem Zopf und rotem Hemd, Martin AUfmuth, geht eine Straße in Indien lang
Martin Aufmuth inmitten mehrerer Kinder in Malawi
© EinDollarBrille | Martin Aufmuth umringt von Kindern in Malawi

Martin, -3 und -4 Dioptrien, das sind Deine Korrektionswerte. Was wäre aus Dir geworden, wenn Du mit diesen Werten in Burkina Faso zur Welt gekommen wärst? 

Martin Aufmuth: Burkina Faso ist eines der ärmsten Länder Afrikas und wird seit Jahren vom Terrorismus geplagt. Wenn unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort in die Dörfer gehen, treffen wir auf Menschen,
die sehr traditionell leben. Viele wissen gar nicht, dass es so etwas wie Brillen gibt. Wahrscheinlich wäre ich ohne Brille irgendwann nicht mehr zur Schule gegangen, weil meine Noten zu schlecht gewesen wären. So geht es vielen Kindern dort. 

Die Teams der EinDollarBrille gehen dann in die Dörfer und verkaufen dort nach einem Sehtest die Brillen. Warum werden sie nicht verschenkt? 

Wir verkaufen die Brillen für zwei bis drei ortsübliche Tageslöhne, das sind in Indien z.B. um die vier Euro. Die Materialkosten pro Brille liegen bei weniger als einem Dollar – für Draht, Gläser, Schrumpfschlauch. Die Herstellung vor Ort kostet dann nochmals rund zwei Dollar. Was die Brillen wirklich teuer macht, sind die Ausgaben für die Fahrten in die Dörfer, die Teams vor Ort, die robusten Fahrzeuge, mit denen wir z.B. auch über 1.000 km entfernte Regionen im bolivianischen Hochland erreichen können. Die Menschen in den Programmländern zahlen ihren Beitrag, den Rest finanzieren wir durch Spenden.

Martin Aufmuth hält die Hand eines Patienten in Burkina Faso, beide lächeln

Eigentlich ist es ungerecht: Bei uns kann man im Supermarkt für wenig Geld eine Lesebrille kaufen, wenn man schlecht sieht. 

Ja, das ist es, was mich so erstaunt hat. Damals habe ich in dem Buch „Out of Poverty“ von Paul Pollack gelesen, dass Millionen Menschen eine Brille bräuchten, aber keine haben. Am selben Tag sah ich im Vorbeigehen Brillen in einem 1-Euro-Laden und fragte mich: Warum gibt es die nicht in Burkina Faso, Malawi oder Peru? Und wenn es in einigen dieser Regionen doch einmal Brillen oder Optikerinnen gibt: Warum müssen die Brillen dann ausgerechnet in den Ländern, in denen die Menschen so wenig haben, so teuer sein? 

Da war dir klar: Da musst Du was tun,oder? Im Sommer 2012 hast Du den Verein EinDollarBrille gegründet …

Ja, genau: Ich hatte schon immer das Gefühl, dass man etwas tun müsste. Als ich darüber mal wieder mit meiner Frau gesprochen habe, sagte sie: „Dann tu doch was“. So hat es angefangen.

Und warum gerade Brillen?

So eine Brille hat einen sehr großen Hebel: Mit wenig Geld kann man sehr viel bewirken. Mit einer Brille für ein paar Euro können Menschen wieder arbeiten und ein Jahresgehalt verdienen, Kinder können lernen und bekommen eine neue Zukunft.

Du bist viel in den Programmländern unterwegs und siehst viel Lebensfreude,
erlebst aber auch viel Armut und Leid.

Gerade Malawi ist mir da sehr im Gedächtnis. Viele Menschen dort leben nur von der Landwirtschaft und haben kein anderes Einkommen. Mais ist dort das Grundnahrungsmittel und der geht oft etwa zwei Monate vor der nächsten Ernte aus. Dann essen die Menschen nur noch einmal am Tag, später sammeln sie Wurzeln oder essen Mäuse, um zu überleben. Der von uns verursachte Klimawandel wird die Situation künftig noch verschärfen.

Martin Aufmuth umringt von jungen Mitarbeiterinnen von Care Netram in Indien
© EinDollarBrille | Martin Aufmuth mit jungem Team von Care Netram

Und wie kann da ausgerechnet eine Brille helfen?

Ein 80-jähriger Bauer in Malawi hat mir mal erzählt, dass er bei der Feldarbeit schon lange nicht mehr richtig sieht. Er war allein für seinen Lebensunterhalt verantwortlich, weil seine fünf Kinder an HIV und Malaria gestorben waren. Wenn dieser 80-jährige Mann durch seine Fehlsichtigkeit nur jedes zehnte Maiskorn falsch säht, dann hungert er nicht zwei, sondern drei Monate – zu lange für e nen 80-Jährigen. Eine einfache Brille kann also Leben retten und ich bin sicher, dass wir mit unseren Brillen schon vielen Menschen das Leben gerettet haben.

Wie fühlst Du dich, wenn Du solche Situationen hautnah erlebst, was macht das mit Dir?

Wenn ich unterwegs bin, tauche in die Arbeit ein und bin voll absorbiert mit Beobachten und durch die Gespräche mit sehr vielen Menschen. Da entstehen auch neue Ideen, wie wir Dinge noch besser machen können. Wenn ich zurückkomme, fällt es mir in den ersten Wochen schwer, in das geordnete, eher distanzierte Leben in Deutschland zurückzufinden. 

Die Lebensbedingungen und die politische Situation haben einen direkten Einfluss auf die Arbeit vor Ort. Wer zum Beispiel noch nie in Burkina Faso war, kann sich schlecht vorstellen, wie mühsam und gefährlich es sein kann, dort Brillen zu verteilen und Sehtests durchzuführen.

Ja, in dem westafrikanischen Land mussten wir wegen der großen Terrorgefahr die Augencamps auf dem Land vorerst aussetzen. Aber dafür plant unser Landesdirektor Thierry Nassouri nun mit der Regierung ein Pilotprojekt, in dem wir Krankenpflegepersonal vor Ort per Kurzausbildung in Augenoptik zu schulen. Die Daten der Sehtests geben sie dann später auf dem Handy in eine von uns eigens entwickelte App ein und wir können dann unter anderem prüfen, ob die Qualität der Sehtests passt. 

Du und Dein Team, ihr sucht auch dort Wege, wo andere aufgeben, oder?

Ich glaube, dass die meisten Menschen ihre Fähigkeiten und ihre Möglichkeiten, etwas zu bewegen, stark unterschätzen. Wir können oft mehr tun, als wir denken. Es ist wichtig, an eine Idee zu glauben und sie eisern voranzutreiben. Und dann muss man Menschen finden, die die eigene Begeisterung teilen und mitmachen. Ist der erste, schwierigste Schritt getan, geht vieles schon leichter.

Die Geschichte von Martin Aufmuth zeigt eindrucksvoll, wie aus einer kleinen Idee eine weltweite Bewegung werden kann, wenn sie mit Mut und Entschlossenheit verfolgt wird. 

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